In diesem letzten dritten Teil der gedanklichen Auseinandersetzung mit der Wichtigkeit der Gedanken findet sich die Antwort darauf, welche Art der Erkenntnistheorie, welche Art des Erkennens für eine menschengerechte Lebensweise notwendig ist. Rudolf Steiner wird zwar gerne von seinen Gegnern, wie auch von seinen Anhängern als Guru empfunden. Auch kann man von seinen Aussagen zu Rassen gestört sein oder seine Ansichten über ‚Esoterik‘ nicht teilen. Das sind alles Themen über die man gesondert diskutieren kann. Da ich kein Gegner oder Anhänger Rudolf Steiners bin, suche ich vor allem ein unvoreingenommenes inhaltliches Verständnis gegenüber seinen Darstellungen. Seine glasklaren Gedanken zur Natur des Erkennens sind aus meiner Sicht beispiellos und erstaunlich zutreffend. Mir ist kein anderer Wissenschaftler (ja, Steiner war tatsächlich ein Wissenschaftler, ob es einem gefällt oder nicht) bekannt, der es geschafft hat, den Prozess des Erkennens derart unvoreingenommen und klar zu fassen. Gleichzeitig bin ich der Ansicht, dass man nicht unbedingt ein Philosoph und Wissenschaftler sein muss, um seine Gedankengänge zu verstehen und zumindest ansatzweise zu erleben. Man müsste dafür nur die Inhalte möglichst eigenständig und praktisch durchdenken. Nicht nur theoretisch als reine Information aufnehmen, sondern wirklich in einer Art Übung gedanklich rekonstruieren. Es ist gewiss nicht ganz einfach, aber immerhin geht es hier um den menschlichen Geist. Dieser ist nun mal eine komplexe Erscheinung, die sich nicht bei den Tieren findet. Wenn aber ein Laie sich zumindest an dieser Stelle ganz praktisch der Erkenntnistheorie befähigen kann, ist für die Gesellschaft deutlich mehr getan als mit 1000 wissenschaftlichen Symposien und Fachbüchern!
Zur Erinnerung: Der erste Teil beschäftigte sich mit der unmittelbaren Praxis jeglicher Theorie und der damit verbundenen Bedeutung der Erkenntnistheorie als der Grundsatzwissenschaft, auf der alle anderen Wissenschaften und dargestellten Erkenntnisse unweigerlich bauen. Der zweite Teil stellte die selbstauferlegte geistige Beschränkung der Erkenntnisfähigkeit, die vor allem durch Immanuel Kant in unserer Gesellschaft zur betonierten Natürlichkeit geworden ist. Um es in Kantscher Art zu sagen, hat Kant selbst trotz seines Kampfes gegen die selbstverschuldete Unmündigkeit gerade diese gefördert. Der letzte Teil bietet den Ausweg aus dieser (un)geistigen Sackgasse der Selbstbeschränkung, die den Menschen der eigentlichen Qualität seines Geistes beraubt hat, um ihn später als ein Nebenprodukt der Evolution technischer Effizienz abzutreiben. Folgende Ausführungen gründen auf der Schrift Rudolf Steiners „Wahrheit und Wissenschaft“, welche er als ein „Vorspiel einer ‚Philosophie der Freiheit‚“ bezeichnet hat. Interessant ist in diesem Kontext auch seine bahnbrechende Ansicht über goethesche Weltanschauung. Wie geschieht also menschliche Erkenntnis, die uns entglitten ist?
Erkenntnitheorie Rudolf Steiners
Um sich der möglichen Antwort auf diese Frage anzunähern, müsste man zuerst die Ausgangslage definieren, unter der der Aufbau einer Erkenntnistheorie überhaupt Sinn ergibt. Die von Rudolf Steiner beschriebene Ausgangslage, die nicht dogmatisch, sondern nachvollziehbar dargestellt worden ist, könnte auf drei Punkte zusammengefasst werden: A – eine Erkenntnistheorie ist Fundamentalgrundlage jeder Wissenschaft, B – das wissenschaftliche Streben muss voraussetzungslos sein und C – es dürfen beim Aufbau einer Erkenntnistheorie keine Voraussetzungen getroffen werden, die bereits auf Erkenntnisprozessen bauen. Man könnte die genannte Ausgangslage als Voraussetzung bezeichnen, doch diese wird nur gedanklich aufgebaut, damit die Erforschung der Erkenntnis überhaupt Sinn und Gewicht bekommt. Diese Ausgangslage greift nicht thematisch in die Erkenntnistheorie selbst hinein.
Diesen Punkten nach müsste man in der Vorstufe zur Erkenntnistheorie das scheinbar Unmögliche vollbringen und an den Anfang des Erkenntnisprozesses kommen. Alle Begriffe müssen an dieser Stelle lediglich diesem Zweck dienen und nicht bereits in den Erkenntnisprozess selbst durch Voraussetzungen eingreifen. Wenn wir also unser Denken anstrengen, um an den Anfang des Erkennens zu kommen und dafür nur behelfsmäßig Begriffe gebrauchen, kommen wir zur abstrahierten ‚reinen Beobachtung‘. Diese reine Beobachtung erlebt das unmittelbar gegebene Weltbild.
In dieser Phase, welche der Erkenntnis vorausgeht, gibt es noch kein Subjekt und Objekt, keine Charakterisierung der Erlebnisse und keinen Bezug zu ihnen. Man könnte also nicht einmal sagen, dass diese reine Beobachtung der Welt gegenüber steht, da man dafür bereits das subjektive und objektive Erleben braucht. Man mag darauf erwidern, dass derartige reine Beobachtung gar nicht möglich ist. Doch an dieser Stelle soll es nicht um Mögliches oder Unmögliches gehen. Es sollen keine Voraussetzungen innerhalb des Erkennens hingestellt werden, sondern es soll um die gedankliche Verfolgung des Erkenntnisprozesses gehen. Die Trennung zwischen unserem gewohnten Beobachten und dem fortwährenden Charakterisieren und Einordnen muss künstlich gezogen werden. In der Untersuchung der Erkenntnis kann der Mensch nicht im unreflektierten Geschehen bleiben und dies als die einzig wirkliche Erfahrung gelten lassen. Er muss sich gedanklich über diesen Prozess erheben und das in der Erfahrung Zusammenhängende (Beobachtung und Charakterisierung) künstlich voneinander trennen. Tut er dies nicht, muss er von jeder Erkenntnistheorie ablassen und sich erkenntnislos (also auch wissenschaftslos) zufrieden geben.
Wenn die Vorstufe zur Erkenntnitheorie gedanklich realisiert worden ist, kann zum 1. Schritt der Erkenntnistheorie fortgeschritten werden. Wo ist der mögliche und wohl auch real existierende Ansatzpunkt des Erkennens innerhalb dieser reinen Beobachtung? Es muss ja ein beobachteter Weltinhalt sei, der gleichzeitig mit der Erkenntnitätigkeit selbst zu tun hat. Diesen Weltinhalt gilt es innerhalb der reinen Beobachtung zu suchen. Gibt es diesen Weltinhalt nicht, dann ist keinerlei Erkennen möglich. Dann muss aber auch unser Bewusstsein vollkommen frei von Charakterisierungen, Einordnungen und Bezügen sein (was nicht der Fall ist). Rudolf Steiner kommt an diesem Punkt auf Begriffe und Ideen. Wobei unter Begriff die Regel zum Aufbau von bestimmten Zusammenhängen gemeint ist und nicht ein konkreter Begriffsinhalt. Nicht das Wort ‚dunkel‘ ist das Eigentliche des Begriffs, sondern die Regel, welche dem Wort ‚dunkel‘ den Sinn gibt. Ideen sind dann lediglich Begriffe mit größerem Inhalt bzw. ein bestimmter Zusammenhang aus einzelnen Begriffen (z. B. Baum). Begriffe und daraus entstehende Ideen bilden also in der Erkenntnistheorie Rudolf Steiners die Verbindung zwischen der reinen Beobachtung und dem erlebten Weltinhalt. Sie sind einerseits in dem unmittelbar Gegebenen enthalten und andererseits werden sie im Erkenntnisakt selbst hervorgebracht. Begriffe und Ideen sind demnach wie immaterielle Gegenstände, welche außen und innen erlebt und gebildet werden (wobei ‚außen und innen‘ hier lediglich als gedankliche Stütze dient und noch nicht begrifflich definiert werden soll). Die denkende Betrachtung wäre dieser Ansicht nach ein Prozess, in dem man die durch die reine Beobachtung gegebene Welt mit Begriffen durchdringt. Denkende Betrachtung ist also eine begriffliche Durchdringung der unmittelbar gegebenen Welt.
Wo genau findet aber die Verbindung zwischen dieser denkenden Betrachtung, also der Begriffswahrnehmung/Begriffsbildung und dem gegebenen Weltbild? An dieser Stelle betreten wir den 2. Schritt der Erkenntnistheorie Steiners. Hier kommt das Denken als formendes Prinzip gegenüber dem Weltinhalt ins Spiel. Das Denken selbst bezeichnet Steiner als a priori (vor der Erkenntnis Gegebenes) und nicht irgendwelche abstrakt existierende Gesetze der Mathematik. Das Denken greift aus der reinen Beobachtung den Weltinhalt A und den Weltinhalt B und setzt diese so in Verbindung, dass daraus ein Naturgesetz konstruiert werden kann, welches erst a posteriori (also nach dem Erkennen) gilt. Der konkrete Inhalt der Erkenntnisse, dieses und jenes Gesetz, kann nicht a priori sein, da es restlos aus der denkenden Betrachtung entsteht. Das Denken bereitet also auch die Gewinnung der Naturgesetze aus dem Weltinhalt vor. Das, was wir aber vorrangig haben und worauf wir ursprünglich bauen, ist unser Denken selbst!
Die Bedeutung dessen mag für viele abstrakt oder irrelevant sein, doch die Tragweite stellt unser Weltbild auf den Kopf. Der Mensch baut seine Erkenntnistätigkeit NICHT auf ‚objektive Naturgesetze‘, denen er fortwährend beizukommen versucht, sondern auf seine eigene geistige Tätigkeit des Denkens! Dem Weltverständnis ist keine äußere Grenze einer objektiven Welt gesetzt, sondern die geistige Tätigkeit des Denkens ist das, worauf der Mensch bauen kann und bauen muss (da er nichts anderes als wirkliche Stütze besitzt). Genau jetzt könnte man sagen, dass das Denken ja fehlerhaft sein kann, womit man voerst ganz richtig liegt. Doch bringt es nichts das Denken selbst mit dem dreckigen Bade potenzieller Fehleranfälligkeit auszuschütten.
Der dritte Schritt der Erkenntnistheorie Rudolf Steiners geht auch auf diesen Punkt ein. So banal es erscheinen mag – nach dem gedanklichen Herleiten der Gesetzmäßigkeit zwischen A und B muss das Ergebnis lediglich abgewartet und beobachtet werden. Stetige Reflexion an diesem Punkt soll die Fehler ausbessern. Das Denken als Mittel der Erkenntnis müsste genau deswegen immer mehr geschärft werden, um die Wirklichkeit möglichst genau erkennen zu können. Unter Wirklichkeit versteht Steiner die Erkenntnis über die Teile des Weltinhaltes.
Aus dieser Betrachtung ergeben sich ganz andere Gedanken über die geistige Tätigkeit des Menschen als diejenigen, die uns Kant und seine Nachfolger dogmatisch vorgepredigt haben. Rudolf Steiner führt diese Gedanken in Bezug auf die menschliche Freiheit noch weiter aus. Sie sind in seinem weiterführenden Buch „Die Philosophie der Freiheit – Grundzüge einer modernen Weltanschauung – Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ zu finden.
Empirischer Beweis?
Anschließend bleibt noch die Frage des empirischen Beweises, der in unserer Gesellschaft eine beinahe vollständige Dominanz besitzt. Und genau hier zeigt sich die voreingenommene Art unserer (post)modernen Denkweise. Denn was genau soll uns eine Empirie (auf äußere Zusammenhänge bauender Beweis) über die Realität der Erkenntnis sagen? Nichts, wirklich gar nichts… oder aber alles. Denn es sind grundsätzlich ALLE ERKENNTNISSE empirisch, sie basieren auf Beobachtung. Es besteht nicht einmal ein Unterschied zwischen zutreffenden Erkenntnissen und wirklichkeitsfernen Erkenntnissen. Sie sind beide empirisch.
Nur weil wir gewohnt sind unter den Messinstrumenten der Empirie technische Mittel zu denken, kann die Empirie nicht darauf reduziert werden. Das eigentliche Messwerkzeug der Beobachtung ist ausschließlich unsere denkende Beobachtung (a priori), die daraus entstehenden technischen Hilfsmittel sind nur auf bestimmte Messbereiche begrenzte Abstraktionen dieser geistigen Tätigkeit (a posteriori). Da nicht irgendwelche Naturgesetze ohne das Denken existieren bzw. da der Weltinhalt ohne das Denken unvollständig bleibt, können auch diese nicht als a priori hingestellt werden, um dem Denken selbst eine Messlatte zu sein.
Das Beweisen wird hier also ad absurdum geführt. Im Denken hört alles Beweisen auf, da Beweisen das Resultat vom Denken ist. Statt Beweisen gibt es nur noch Beschreibung. Man kann also mit dem Denken nicht das Denken beweisen. Unser Drang nach technischer Eindeutigkeit kommt hier an seine Grenze und nicht die menschliche Erkenntnisfähigkeit. Wir müssen lernen unvoreingenommen zu beschreiben, statt das Leben auf erträumte Fakten zu trimmen.
Was nun?
Nachdem festgestellt werden kann, dass der Mensch in seinem Geist keiner künstlich gesetzten Grenze irgendeiner ‚objektiven Welt‘ unterliegt und aber die gesamte Wissenschaft und demnach die Bildung und Politik genau darauf bauen, müsste man die Frage nach der menschlichen Freiheitsfähigkeit und nach dem menschlichen Geist ganz anders aufwerfen als es jetzt getan wird. Man müsste das gesamte Verhältnis zum Menschen revidieren und neu betrachten, denn wie bereits im ersten Teil und zweiten Teil erläutert, bauen all unsere praktischen Realitäten und gesellschaftliche Verrichtungen auf einer nicht menschengerechten Vorstellung von Erkenntnis. Es ist also kein Wunder, dass aus solch einer geradezu menschenfeindlichen Ansicht auch menschenfeindliche Ergebnisse wachsen.
Wir brauchen uns also nicht zu wundern, dass die Unternehmer und Politiker den Menschen lediglich als Humankapital und als eine zu verwaltende Biomasse betrachten. Erziehung zum Gehorsam und Einsicht in eine systembedingte Unterordnung für die ‚Vorteile‘ der Sicherheit, Bequemlichkeit und einheitlicher Solidarität eines wohligen Wir sind nur die Konsequenzen dieser Einbahnstrasse des um den Geist beschnittenen Menschen. Dem Hygienismus folgende Pandemiepolitik, verzweckte und ökonomisierte Bildung, totale Datensammlung für behavioristische Massenlenkung (Stichwort: Telemetrie, Telestimulation, Überwachungskapitalismus) und letztendlich totale Fremdbestimmung für ein diktiertes ‚glückliches und soziales Dasein‘ all diese Erscheinungen gegen die vor allem in letzter Zeit so einige Menschen auf die Straßen gingen sind regelrechte Früchte einer erkenntnislosen Erkenntnistheorie, die nach und nach eine entsprechende Praxis gestaltet hat und weiter gestaltet.
Das Schimpfen gegen ‚die da oben‘ ist als eine affektive Geste zwar verständlich, dieses Schimpfen und die bloße Auflehnung (egal von welcher Seite) bringt aber keine Änderung zu einem menschlicheren Dasein. Keine Parolen und Machtumstürze führen zu mehr Menschsein, sondern allein die Erkenntnis über die Sackgasse unserer Gesellschaft, die uns bereits jetzt (und später um so mehr) vor die Konsequenz unserer Geistlosigkeit stellt. Diese Konsequenzen abzulehnen wird dem Erwachsensein nicht gerecht.
Um unser Menschsein überhaupt zu entdecken (bevor wir es gänzlich verlieren) müssen wir die Bedeutung des Denkens, die Bedeutung des menschlichen Geistes vollkommen überdenken. Denn die daraus wachsenden Erkenntnisse führen uns weit über die Dogmen des Materialismus, aber auch über die selbstgefällige Schwärmerei einer falsch verstandenen Esoterik in ihren New-Age-Erscheinungen hinaus.
Wir müssen uns aus dem bloßen User-Dasein befreien, welches uns durch die selbstauferlegten geistlosen Grenzen beschert worden ist. Tun wir dies nicht, wird der Trans- und Posthumanismus eine ganz konsequente Antwort auf den ‚begrenzten Menschen‘ sein, der technisch überwunden werden muss. Denn wenn der Mensch, wie die bekannten Transhumanisten (J. N. Harari, R. Kurzweil) behaupten, an seine Grenzen gekommen ist, dann muss er zwangsläufig überwunden werden. Wollen wir das wirklich? Verstehen wir wirklich was das bedeutet? Mit der Frage des Denkens stehen wir also am Abgrund unserer Existenz als Menschheit! Es ist keine Polemik, es ist die bittere Realität.
Молодец! Конечно, трудно понять построчно весь текст, но главная мысль понятна! Дай Бог удачи и движения вперёд!
Спасибо! Стараемся дальше 🙂