Journalisten als Anheizer autoritärer Regimes

Eigentlich bin ich momentan mit meiner Abschlussarbeit beschäftigt und wollte deswegen die brotlose Kunst diffuser Volksbildung (nicht zu verwechseln mit ‚völkisch‘) minderer Reichweite durch Blogbeiträge in den Hintergrund stellen. Doch vor ein paar Wochen wurde ich mit einem wunderbar plakativen Radiobeitrag konfrontiert, nach dem ich am liebsten einen wissenschaftlichen Beitrag zur Rolle der Journalisten in Verbindung mit dem Entstehen autoritärer Regimes leisten würde. Aus zeitbedingten Gründen bleibt es allerdings bei einem kurzen Blogartikel, der das Zeitgeschehen in aufgeklärt westlichen Demokratien festhalten soll.

Eines der zentralen Themen, die ich bewege, ist ja die Gesellschaftskritik innerhalb westlicher Ideologien. Darüber können einige Artikel in diesem Blog und das ausgelagerte Projekt „kritischer Bildungskreis“ gefunden werden. Die Vorstellung eines moralisch-ethisch überlegenen ‚Westens‘, der auf den Flügeln des aus dem Westeuropa kommenden ‚american dream‘ sich in der ganzen Welt segensbringend ausbreiten will, um Frieden, Freiheit, Vernunft und Demokratie und andere plakative Floskeln zu bringen – diese Vorstellung als eine der größten Illusionen moderner Zeit muss aus meiner Sicht schleunigst dekonstruiert werden. Dieser ‚Westen‘ müsste lernen sein Status Quo, seine wirklichen Bestrebungen möglichst unverblümt reflektieren zu lernen, um seiner kulturgeschichtlichen Aufgabe (nennen wir es weitläufig „geistige Bildung“) gewachsen zu sein.

Das Radio als Medium für Volkserziehung dürfte jedem bekannt sein. Wer meint, dass der endlose immer mehr gleichklingende Musik-Trash-Strom und die sogenannten Nachrichten, die mittlerweile beinahe den gesamten Frequenzbereich abdecken lediglich der Unterhaltung und Information dienen, irrt sich gewaltig. Zetungen, Fernsehen und Internet sind im medienkritischen Sinne als Konstrukteure der Öffentlichkeit gut bekannt. Radio hat aus meiner Sicht in dieser meinungsbildenden und identitätsstiftenden Gemeinschaft einen eigenen Charme. Es mag mein subjektives Gefühl sein, doch Radio scheint mir der Inbegriff der Propaganda zu sein. Zeitungen muss man lesen, Fernseher muss vorrangig geschaut werden, damit er als solcher innerhalb seiner Domäne mit Bildern ergreifen kann, im Internet muss man interagieren. Radio dagegen muss nur eingeschaltet werden und schon läuft der unaufhaltsame Strom an gewollter Aufklärung und Geschmacksbefriedigung oder auch anders gesagt: Propaganda und Bildung des illegitimen, aber notwendigen Geschmacks (Bourdieu). Die plumpe, geistlose Propaganda, die sich nicht einmal die Mühe gibt, sich irgendwie emotional zu tarnen, hörte ich in den letzten Jahren vor allem im Radio.

Während ich also einem weiteren Schmuckstück gewissenloser Volkserziehung zuhörte, fragte ich mich, was sind eigentlich Journalisten für Menschen? Was ist ihre Rolle in diesem Schauspiel der Medienfreiheit und Demokratie?

Wer sind die Journalisten?

Ich habe eine Weile gebraucht, um einen halbwegs treffenden Begriff für die Rolle der Journalisten zu finden. Sind sie Kreateure, Soldaten, Brennholz oder schlichte Mitgestalter autoritärer Regimes? Kreateure bewegen sich auf der wirtschaftlichen Metaebene mehr oder minder globaler Weltgestaltung, dazu gehören die Journalisten gewiss nicht. Sie sind den Kreateuren gegenüber nur besser gestellte Handlanger zur Herstellung der Öffentlichkeit (Stichwort: Funktion der Massenmedien), also gehören sie zur Ausführungsebene (nicht zur Planungsebene) der Massenlenkung. Journalisten sind die eigentliche exekutive Gewalt der herrschenden Elite. Der Begriff des Soldaten beschreibt nicht die explizite Bedeutung der Mitgestaltung und Reproduktion herrschender Vorstellungen. Soldaten verantworten sicherlich die praktische Realisierung bestimmter Machtvorstellungen herrschender Eliten, der Begriff an sich deutet allerdings wenig auf die zentrale Rolle aktiver Mitgestalter. Mitgestalter autoritärer Regimes als Bezeichnung für Journalisten eröffnet ein sehr breites Feld systemtheoretischer Gesellschaftsdeutung, bei der jeder und jede in irgendeinem Sinne mitgestaltend ist. Diese Anschauung entpersonalisiert und delokalisiert die eigentlichen Machtzentren (sie können kaum auf Personen(gruppen) und Orte reduziert werden), da sie als solche nur ein Teil des miteinander sich gestaltenden Ganzen sind. Daraus entsteht dann so etwas wie eine seichte Theorie des kommunikativen Handelns von J. Habermas, bei der alle Parteien irgendwie miteinander ‚die Welt aushandeln‘. Machtgefälle – welches real vorhanden ist – ist in solchen Gesellschaftsdeutungen nicht ernsthaft greifbar. Journalisten als Brennholz autoritärer Regimes suggeriert, dass diese Regimes bereits ohne Journalisten vorhanden sind und durch Journalisten lediglich in Erscheinung treten und sich erhalten. Journalisten werden dabei als Grundlage autoritärer Systeme gebraucht. Da fehlt mir der aktive Anteil des Journalismus am Kreationsprozess von autoritären Regimes. So kam mir der Begriff der Anheizer als zutreffender. Journalisten hantieren mit dem Brennholz der Massenmedien, um auf diesem Boden die Realität autoritärer Ideen voranzutreiben. Dieser Begriff bleibt allerdings ein Arbeitsbegriff und müsste noch diskutiert werden.

Doch diese steile These braucht selbstverständlich eine sachliche Basis. Aus zuvor genanntem Grund werde ich keine wissenschaftlich-sachliche Basis, aber durchaus legitime Anhaltspunkte für den möglichen Aufbau einer solchen liefern. Womöglich gibt es bereits wissenschaftliche Forschungen genau in diese Richtung. Die Thematik, die ich hier ergreife ist alles andere als neu. Vielleicht wurde sie nur wenig in Bezug auf die moderne westliche Gesellschaft angefasst. Warum können also Journalisten als Anheizer autoritärer Systeme bezeichnet werden? Und zwar nicht irgendwo in Russland, China und Nordkorea, sondern mitten in dem aufgeklärten und moralisch aufrichtigen Westen.

Zuvor muss jedoch Folgendes betont werden. Gewiss kann man diese Darstellung nicht auf den Begriff des Journalismus per se anwenden. Es gibt sicherlich auch Menschen in dieser Branche, die noch einen moralisch intakten Hintergrund mitbringen. Doch sie bilden nicht die öffentlichkeitsrelevante Gestaltungskraft unserer Gesellschaft. Sie gehören nicht zu den Massenmedien, welche die Öffentlichkeit als solche kreieren. Diejenigen, welche in all den relevanten Medienhäusern mit ihren Zahlreichen Heterogenität und Vielfalt vorspielenden Zeitungen, Sendungen und anderen Arten von Medienerzeugnissen die Informationen biegen, sind eher an der Machtposition die Öffentlichkeit zu schaffen und zu gestalten. Diese Gestaltung kann selbstverständlich nicht nur auf den Autoritarimus reduziert werden. Sie ist vielgleisig. Der Autoritarismus scheint mir aber eine sich immer weiter festigende Konstante, ein gemeinsamer Nenner zu sein bzw. zu werden, der im Schrei nach einer aufgesetzten Vernunft verlorener Menschlichkeit als folgerichtige Lösung immer weiter in unserer ‚aufgeklärten Gesellschaft‘ Platz greift. Wenn der Mensch doch ein unfreies, sich selbst befriedigende Tier ist (wovon ich in keinster Weise überzeugt bin), dann muss er selbstverständlich auch entsprechend durch eine Art ‚gesetzlicher objektiver Vernunft‘ regiert werden.

Journalistischer Drift nach dem Autoritarismus.

In diesem Kontext will ich als ein Beispiel von vielen eine Skizze der von mir erlebten Radiosendung zur gedanklichen Verdauung anbieten. Danach kann jeder und jede selbst nach zahlreichen anderen Beispielen suchen, an denen ersichtlich wird, wie ‚der Journalist‘ dem Drift nach dem Autoritarismus dient. Wenn man die gedankliche Wahrnehmung nach dieser Richtung schärft, wird man erstaunt sein, wieviel Beispiele einem begegnen.

Da eine Radiosendung als eine sich im Kreise drehende Propagandaschlange bezeichnet werden kann (man weiß ja nie, wann sich frische potenzielle Seeleneimer hinzugeschalten haben), ist es schwer den eigentlichen Anfang zu bestimmen. Die Kunst ist also die Sendungen so zu gestalten, dass sie in jedem Zuschaltmoment den gleichen Propagandasinn erfüllen, der gleichen Agenda dienen. Der praktische Anfang wird dabei stets durch den Schalter, der die Unterbrechung dieser durchfallartigen Informationsflut gewährleistet, bestimmt – den On-/Off-Regler.

Grober Ablauf der Radioinhalte:

  • Schulartikel werden teuerer! Wer kann sich in Zukunft noch Schule leisten?!
  • Wetter (erstaunlicherweise ohne die Predigt eines sofortigen oder zukünftigen Hitzetodes)
  • Die Erwachsenen können (auch nach ausführlicher Anleitung) nicht vernünftig Zähne putzen. Eine Expertin erzählt dabei die bittere Realität des Zähneputzens.
  • Das neue Virus durch Zeckenbisse. An sich ungefährlich, aber was bringt die Zukunft?! Auch hier spricht ein Experte zum Thema.

Die Reduktion obiger Inhalte auf die psychische Wirkungsebene (sicherlich nur meine diskutierwürdige Interpretation):

  • Aufbau der Unsicherheit und Ungewissheit auf Basis eines jeden betreffenden Alltagsthemas
  • Zerstreuung, um die Wirkung etwas ins Unterbewusstsein absinken zu lassen (Sport oder ein belangloser Einheitssong hätten diese Aufgabe auch erledigen können)
  • Die Darstellung unvermögender, unkompetenter und unfähiger Erwachsener. Förderung des bereits durch die Corona-Politik stark aufgebauten geistigen Infantilismus. Erwachsene werden zu Kindern degradiert.
  • Aufbau von Angst und Verstärkung dieser Angst zu einer diffusen Zukunftsangst.

Weitere Konkretisierung:

  • Aushebelung aus der sicher geglaubten Lebenshaltung
  • Verschleierung zielstrebiger (strukturierter) Propagandaabsichten
  • Infantilisierung Erwachsener
  • Aufbau diffuser Ängste

Das Entscheidende dabei ist allerdings welche Rolle ein Journalist bei einem Interview mit einem ‚Experten‘ (oder bei der Gesprächsleitung einer Talkshow etc.) einnimmt. Selten werden Experten präsentiert, die von sich aus autoritär wirken und zu autoritären Handlungen aufrufen. Im Fall der von mir gehörten Sendung äußerte sich der Experte sehr mild und differenziert zu dem ’neuen Virus‘. Das Virus sei weitgehend ungefährlich. Doch die offensichtliche Aufgabe des Journalisten war es durch Nachfragen und rhetorische Äußerungen stets die Gefahr herbeizupredigen und Unsicherheit beim Zuhörer zu wecken. Und genau hier offenbart sich die Rolle des Anheizers. Auch wenn ‚der Experte‘ keinerlei Angst suggeriert und keine Maßnahmen fordert, schafft es der Journalist ein Klima der Angst und potenzieller Hörigkeit zu erzeugen.

Angst und Infantilismus als Vorstufe autoritärer Haltungen

Diese Angst und Hörigkeit brauchen die fortwährende Betonung erwachsener Unfähigkeit etwas Vernünftiges zu befolgen bzw. zu realisieren. Der Erwachsene muss zur geistigen (Un)Reife eines Kindes degradiert werden. Damit meine ich nicht irgendeine moralische Verurteilung kindlicher Reife, sondern vor allem das fehlende Urteilsvermögen gegenüber komplexen/abstrakten Inhalten und fehlende Fähigkeiten eines Kindes bezüglich komplexerer Aufgaben, die sich aus diesen Urteilen ergeben.

Kaum kam ich aus meinem Urlaub in den deutschsprachigen Raum zurück, schon schmückte die Raststätte ein Plakat mit „Vorsicht! Afrikanische Schweinepest!“ und die dazugehörige Toilette eine Anleitung zum richtigen Händewaschen, die ich früher lediglich in Kindergärten und Grundschulen (oder in sozialistischen Regimes) gesehen habe. Denn spätestens seit Corona wissen wir, dass Erwachsene nicht einmal richtig Hände waschen können. Der beiläufige Blick in die aktuellen Nachrichten stieß auf die berliner Tigermücken, die zwar seitens der ‚Experten‘ in unserem Raum kaum eine Gefahr darstellen (aufgrund eines deutlich höheren Hygienestandards). Doch für Journalisten ist es ein weiteres Thema für das Herbeireden von Gefahren und der Forderung nach Steuerung und Vernunft.

Gerne wird außer Acht gelassen, dass die Hygiene vorerst eine Angelegenheit persönlicher Freiheit und eigener Entwicklung ist. Wie ich meine Zähne putze und inwiefern ich dadurch den Zahnarzt und die Krankenkasse ‚belasten‘ muss, ist alleine meine Angelegenheit (unabhängig der Tatsache, dass die Zahngesundheit gar nicht vom Putzen alleine abhängt). Auch wer seine Hände nicht oder nur bedingt wäscht, bewegt sich in dem Raum seiner freiheitlichen Entwicklung. Selbstverständlich stört in gewissen Bereichen und ab gewissen Grenzen meine persönliche Freiheit die persönliche Freiheit eines anderen. Doch eine die Freiheit und Individualität schätzende Gesellschaft ist gewillt mit dieser Problematik umzugehen, sie als solche als einen natürichen Bestandteil und nicht als einen Störfaktor zu behandeln.

Die Corona-Politik hat uns allerdings gelehrt, dass die ‚persönliche Freiheit‘ eine grundsätzliche Gefahr ist, wenn sie nicht der vorgeschriebenen ‚allgemeinen Vernunft‘ folgt. Persönliche Freiheit ist Egoismus! Wer sich auf die Individualität bezieht, ist ein Egoist! Wer sich nicht die Hände wäscht, gefährdet andere. Wer sich nicht gut die Zähne putzt, belastet die Gemeinschaft finanziell, da er die Krankenkasse in Anspruch nimmt. Wer zu schnell fährt, gefährdet nicht nur unmittelbar die anderen Verkehrsteilnehmer, sondern belastet auch die Versicherungen. Wer sich schlecht ernährt… und so weiter.

Fazit

Wenn Journalisten (aber gewiss nicht nur sie) als systematische Anheizer der Angst, des Infantilismus und des darauf wachsenden Autoritarismus wirken, bleibt uns journalistischen Laien die Freiheit gedanklicher Aufmerksamkeit. Es liegt also an uns selbst, inwiefern wir solche manipulative Bestrebungen erkennen und ihre Systematik und Tragweite aufdecken können. Im Lichte aktiv gebildeter Gedanken sind diffuse Ängste und Entmündigung erwachsener Menschen unwirksam. Erst wirkliche Gedankenarbeit macht den Menschen mündig und ernsthaft Erwachsen!

Befolgen wir weiterhin die suggerierte Unsicherheit, Angst und diktierte Vernunft, landen wir in sozialistischer Auffassung eines Gesamtorganismus, in dem das Individuum lediglich das Richtige tun muss, um die Gemeinschaft nicht zu belasten. Wenn chinesische Politik ein derartiges System bereits eine längere Zeit nach dem „top down Prinzip“ (von oben herab) weitgehend realisiert hat, ist der ‚aufgeklärte Westen‘ dabei, das gleiche System nach dem „bottom up Prinzip“ (von unten herauf) aufzubauen. Immerhin steuert uns die objektive Vernunft selbst und nicht eine autoritäre Politik!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

    1. A. Kavaliou

      Danke für die Info! Bisher habe ich mich mit dem Begriff des digitalen Kolonialismus nicht befasst. Eher mit dem Überwachungskapitalismus von Zuboff. Ich vermute, da gibt es einige thematische Parallelen.

      Wie meinst du es mit „Sie wiederholen ihn (wohl den Kolonialismus)“? Im Sinne davon, dass der Kolonialismus als digitaler Kolonialismus seine eigentliche Rückkehr verschleiert?

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