Ein Essay zur Diskussion: Was kann ich in der Welt bewegen? Wo soll ich anfangen? Wie finde ich konkrete Wege nicht nur im Äußeren der Welt tätig zu sein, sondern vor allem auch in den innersten Zusammenhängen zu wirken? Die Antwort liegt im leider recht abgedroschenen Thema der Selbstreflexion, welches meistens entweder kaum konkret gegriffen wird oder bloß das harmoniesüchtige Verlangen nach einem positiven Coaching stillen will. Man kommt nicht um die schattigen und weitgehend unreflektierten Inhalte des eigenen Denkens, Fühlens und Wollens herum, denn genau darin liegen die ganz konkreten Hintergründe jeglicher gesellschaftlicher Wirkung.
Es gibt heutzutage einerseits einen starken Willen in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen sehr aktiv zu sein. Andererseits erleben wir aber eine steigende Passivität, eine Resignation, einen Drang, nicht mehr auf die vorhandene Problematik in der Welt und in der eigenen Seele hinzuschauen, sondern sich mit dem zufrieden zu geben, was einem die unmittelbare Erlebniswelt bietet. Beide Extreme vermischen sich und reißen den Menschen innerlich auseinander, wodurch er zur Gewalt und zu anderen krankhaften Reaktionen neigt. Der Mensch will etwas tun, etwas Entscheidendes bewegen, fühlt sich aber oft gegenüber den erdrückenden, menschenungerechten und individualitäts-lähmenden Gesellschaftsstrukturen resigniert.
Die Behauptung, dass man durch die Veränderung in einem selbst zu einer Veränderung der Welt beiträgt, ist gewiss sehr zerredet und alt. Doch dieser Hinweis zur Selbsterkenntnis wurde gesellschaftlich nicht genau betrachtet, sondern oberflächlich in die Ecke der negativ belegten ‚Hobbyphilosophie‘ gedrängt. Nebenbei bemerkt: Ist Philosophie oder sonstige wissenschaftliche Disziplin als Hobby zwangsläufig nicht ernst zu nehmen? Das Verständnis der nicht formalen und informellen Bildung, welche sich auf institutionslose, aber vor allem intrinsisch motivierte Prozesse stützt, dürfte heute deutlich weiter reichen.
Der Wert und Nutzen der Selbstentwicklung wird zwar heutzutage durchaus erkannt, der Umgang damit ist aber eher profitorientiert. Es ist den Menschen oft nicht entscheidend, wirklich zu begreifen, was in ihnen und in dem sozialen Zusammenhang passiert, was der Mensch und die Welt darstellen (Stichwort: Mensch oder Natur und Tiere https://sozialekunst.eu/2021/07/20/bildung/), sondern sie wollen vorrangig ihr Glück, ihren Gewinn und ihre positiven Emotionen steigern. Dafür schießen wie Pilze aus dem Boden persönliche Berater, Trainer, spirituelle Lehrer und sonstige ‚Helfer‘. In diesem Anliegen, dem anderen zu helfen, ist nichts grundsätzlich Falsches zu entdecken, man sollte aber genauer hinsehen, wie solche Berater wirken und was sie mit ihrer Arbeit in einem Menschen fördern.
So, wie der Mensch innerlich ist, genau so gestaltet er auch die Welt. Aus seinem Inneren wirkt der Mensch in die unmittelbare Umwelt hinein. Diese Gedanken bleiben nur dann abstrakt, wenn man nicht bedenkt, dass der Mensch all seine Taten aus seinem Denken, Fühlen und Wollen, aus seinem Charakter, aus seiner Persönlichkeit heraus entfaltet. Jede scheinbar ganz sachliche Beschäftigung mit Dingen ist illusioniert, denn die Sache und der Mensch selbst sind untrennbar miteinander verwoben. Nur die Selbstreflexion kann hier eine gewisse klärende Differenzierung bringen.
Wenn der Mensch also immer mehr sein Denken, Fühlen und Wollen reflektiert, wird er auch immer mehr seine Charaktereigenschaften und seine Persönlichkeit gestalten können. Er wird dann nicht mehr blind durch eine unbewusste und unterbewusste Innenwelt tätig sein, die ihn oft zu destruktiven Taten verleitet (die sich übrigens oft als großartige Impulse zur Weltveränderung tarnen), sondern er wird diese Innenwelt immer mehr im Lichte seines Selbst-Bewusstseins ergreifen, begreifen und umgestalten können. Wenn er sich dann mit stets tätigen Selbstreflexion in die Welt hinein stellt, wirkt er in ihr in der Art und Weise seiner derzeitigen Persönlichkeit, in guter oder auch übler Art.
Aus diesem Grund ist die Selbstreflexion und die daraus wachsende Selbsterkenntnis ein Werkzeug zu einer direkten ethisch-moralischen Wirkung in der unmittelbaren sozialen Welt, welches auch einen gesellschaftlich-hygienischen Wert trägt. Dies gibt dem Leben einen von der äußeren Tätigkeit in der Welt völlig unabhängigen Sinn. Wenn man gleichzeitig in der Welt eine sinnvolle und gesellschaftlich wertvolle persönliche Tätigkeit entfaltet, ergänzt man die Selbsterkenntnis zu einer sozialen Ganzheit und gibt ihr den Boden ihrer Entwicklung.