Während die feuchten Träume von Digitalfetischisten und Technokraten zunehmend wahr werden, bricht die Sinnhaftigkeit der Schulen zusammen. Lehrer spielen paramedizinisches Personal. Niederschwellige Indoktrination der Kinder zu einem zwanghaften und soziopathischen Hygienismus ist beinahe moralische Pflicht. Die davor schon kaum anwesenden Bildungsinhalte verlieren sich in langweiligen Zoom-Orgien (großartiger Antagonismus der neuen Normalität!), während die scheinbar rettenden Freilerner aufblühen.
Wenn Staatsschulen schon immer mit Druck einen recht hohen Erfolg bei der Kreation von gedankengezähmten Systemrädchen und ihrer Allokation auf dem Arbeitsmarkt hatten (abgesehen vom Kollateralschaden abgehängter Meritokratieversager), können sie jetzt noch eine ganz passable humankapitalistische Ausbeute erzeugen. Klingt ekelhaft, ist es auch. Mit Druck funktioniert diese technokratische Übergangsphase an Staatsschulen noch eine Weile ganz gut.
Doch die meisten Privatschulen, bei denen es um die Bildung des Menschen geht (es gibt gewiss sehr wenige davon) stehen vor einem Problem. Wenn die Montessorikinder, als Vorgänger der Freilerner, außer der langweiligen Zoom-Orgien, sich noch mit selbsterklärenden Spielmaterialien und einer gewissen freien Lerngestaltung begnügen können, haben die Waldorfschulen sich ad absurdum geführt. Wer sich ernsthaft mit Waldorfpädagogik beschäftigt hat, weiß, wie unsinnig eine ‚digitale Bildung‘ ist. Digitaler Waldorf ist also vollkommener Blödsinn. Man steht da vor dem eigenen Ende und sollte konsequent den Ausknopf drücken oder sich fragen, wie man da eigentlich angekommen ist.
Als das übriggebliebene Bollwerk gegen die wirtschaftliche und materialistische Instrumentalisierung der Bildung hat die Umsetzung der Waldorfpädagogik maßlos versagt. Der Bund der ‚freien‘ Waldorfschulen hat den Regierungskampf gegen die Leugner, Verharmloser, Verschwörungstheoretiker, Nazis und andere zersetzende Systemelemente, mit denen man nicht zu reden braucht, aufgenommen und für wichtiger als alles andere befunden, sich gegen alles distanziert und nun? Nun müssen die Waldorfschulen gestehen, dass sie eigentlich überflüssig sind. Ihre Profilierung und Rettung würde in einem entschiedenen NEIN für diese Kindermisshandlungen und Bildungsvorstellungen bestehen. Nicht aufgrund von einem irgendwie gearteten Fanatismus, sondern aufgrund einer menschengerechten und kritischen Bildungsvorstellung. Doch sie zeigten ihren Status quo, indem eine menschengerechte Bildungsvorstellung – also die Waldorfpädagogik – lediglich zu einer ‚alternativen Schule‘ geschrumpft ist, an der Namen tanzen, Basteln, Lernen ohne Noten, eine hirnforschungsgerechte Begeisterungspädagogik und nettes Zusammensein waltet. Jetzt kann man all das irgendwie digital integrieren und ‚mit der Zeit mitgehen‘. Die meisten Eltern interessieren sich eh nicht für diese Pädagogik und sind froh, wenn Kinder aufgehoben sind. Die Lehrer können kaum mehr ihre Inhalte erklären. Die Schulführung, die sich am liebsten komplett von Steiner distanzieren würde, ist nur froh, wenn alles still ist. Die angebliche Selbstverwaltung ist gespickt von Schattenhierarchien und Machtkämpfen. Das Lehrerkollegium kann kaum mehr als Kollegium, welches sich für die Waldorfpädagogik interessiert, bezeichnet werden. Waldorf hat sich der Waldorfpädagogik schon vor Corona beinahe entledigt, jetzt werden zunehmend die letzten Reste beseitigt. Die Symbiose zwischen Montessori und Waldorf, die zugunsten von Montessori stattfindet, ist bereits bekannt. Viele meinen, es handelt sich um ähnliche Ansätze, obwohl sie vollkommen entgegengesetzt sind. Waldorf wird genau so geistlos, wie die restlichen pädagogischen Systemzuarbeiter. Er wird, wie bereits teilweise Montessori, die Effizienz mit Spaß verbinden und spaßige Effizienz bieten. Wer also die Waldorfpädagogik halbwegs versteht und schätzt, sollte sich darüber Gedanken machen, wie man dieses sinkende Schiff verlässt und einen neuen Schiff baut. Für ernsthafte Rettungsaktionen und Umgestaltungen sind die Schulen wohl kaum bereit.
Und jetzt kommt eine ganz große ’neue‘ Bewegung, die das pädagogische Vakuum unserer Zeit gut zu füllen weiß. Es ist keine einzelne Schule oder Lehre, es ist ein Trieb, der seine ganz sichtbaren Ursprünge bereits in den Anfängen technokratischer Vorstellungen des letzten Jahrhunderts hat und seine Ergänzungen in den Heilsbotschaften des flexiblen Kapitalismus findet. Es ist der Trieb einerseits zu einer immer größeren Effizienz, Schnelligkeit und Systematisierbarkeit, die man soziologisch auf den Begriff der McDonaldisierung kürzen kann und andererseits der Trieb zur Verlagerung der Verantwortung auf die zu verwaltenden immer weiter von irgendeiner Macht verdrängten Subjekte. Durch den zweiten Faktor werden die dahinterstehenden lenkenden Machtverhältnisse fast vollkommen verschleiert. Der Mensch bekommt das Gefühl, selbst alles gestalten zu können und verantwortlich zu sein, ohne zu merken, dass die automatisierte digitale Überwachungs- und Lenkungsstruktur ihn bis zu den kleinsten Entscheidungen und Tagesabläufen kontrolliert und bestimmt.
In den letzten 100 Jahren schafften wir den Sprung vom Behaviorismus zum Konstruktivismus – der Mensch ist der Gestalter des eigenen Lebens! Das klingt großartig! Doch wieviel kann er in der Zukunft der „post-choice und post-voting society“ eines smart city Konzepts der Bundesregierung und anderer Regierungen ernsthaft gestalten (https://sozialekunst.eu/2021/06/18/amazon_sidewalk/)? Wieviel der Fremdbestimmung eines Überwachungskapitalismus (Stichwort: Shoshana Zuboff) kann er noch überblicken? Vor allem dann, wenn er meint bereits als Kind ein reflektiertes Urteilsvermögen zu besitzen.
Die Antwort ist vor allem denjenigen geläufig, die diesen Prozess von der erkenntnistheoretischen bis zur technischen Ebene halbwegs begreifen. Das Aufkommen des Behaviorismus Anfang 20. Jahrhunderts zeigte uns die Realität einer völlig dehumanisierten und geistlosen Gesellschaft: Mensch ist gleich Tier! Die „Blackbox“ des subjektiven seelisch-geistigen Lebens kann wissenschaftlich nicht untersucht werden, so das Dogma des Behaviorismus, die introspektive Psychologie, die dem Menschen noch eine seelisch-geistige Realität zusprach, fand dort ihr Ende. Interessant blieb nur noch der Reiz, die daraufkommende Reaktion und der Gebrauch dieser Prinzipien auf dem ökonomisch-politischen Gebiet. Der Kognitivismus und die Handlungstheorien der 50er Jahre stellten aber ein neues Dogma fest. Mensch ist gleich Tier mit einem Computergehirn! Die „Blackbox“, so die kognitivistischen Theorien, konnte gemäß dem vom Menschen geschaffenen Computer entschlüsselt und verstanden werden. Der aufkommende Konstruktivismus beschränkte allerdings den Menschen und sein Streben auf das Überleben selbstreferentieller, autopoietischer (also in sich geschlossener und auf sich bezogener) Subjekte. Jegliches Einwirken von außen ist laut dem Konstruktivismus lediglich als eine Störung (Stichwort: Perturbation) zu sehen, auf die das Subjekt selbst mit einer Optimierung (Stichwort: Refraiming) seiner bisher gewählten Strategie antwortet. Pädagogik und Methodik erscheint dieser Ansicht nach natürlich als vollkommen absurd. Wenn der Kognitivismus das Gedächtnis noch als eine Art Speicher gedacht hat, so ist es im konstruktivistischen Sinne stets situativ (Stichwort: situated cognition). Der Lerntransfer wird somit ebenfalls als eine Absurdität erklärt (Stichwort: situated learning). Der Schein des ‚freien Konstruktivismus‘ trifft also auf ein betoniertes selbstlernendes, nach dem bloßen Überleben strebendes Subjekt, welches dazu noch ausschließlich in authentischen (lebensnahen) Lernumgebungen lernen kann. Allgemeinwissen, abstraktes Denken und eine gewisse geistgemäße Gegenstandslosigkeit (z. B. Algebra und Geometrie als veranschaulichtes Denken) gehören dabei zum unzeitgemäßen Abfall. Es zählt nur das, was direkt anwendbar und nützlich ist. Materialistischer Homoökonomicus hat sich hier seine Ideologie perfektioniert. Algebra wird zum Zählen von Geld und Geometrie zum Häuserbau instrumentalisiert. Das Lernen findet im konstruktivistischen Sinne unabhängig vom Alter statt und ähnelt einer sich selbst optimierenden Computer-Logik. Wenn man in diesen Dehumanisierungsprozess auch noch Spaß hineinbringt, dann ist der blinde Lauf in den menschlichen Untergang beinahe perfekt!
Spaß, Lust und Begeisterung – so wichtig sie auch für die Pädagogik als EINER von vielen Faktoren sind – werden den Sinn nach einer gesunden (humanen) Entwicklung überlagern (vor allem weil die Entwicklung dahinter mittlerweile sehr komplex ist). Der bequeme, ängstliche Mensch der Gegenwart ist natürlich begeistert, wenn er oder seine Kinder in dieser unbewussten Einbahnstraße der Dehumanisierung auch noch Begeisterung empfinden können! Die freiwillige, spaßige, vollkommene und verschleierte (zumindest für die nicht Denkenden) Diktatur steht direkt vor unserer Tür, die wir bereits aufgemacht haben. Die Technokratie kommt also nicht als ein offensichtlich hässliches Ungeheuer – nur wer nüchtern schauen kann, sieht ihre Hässlichkeit – sie kommt in einem recht freudigen Kleide der konstruktivistischen Selbstentfaltung und Selbstverantwortung. Das Problem dabei ist, dass diese spaßige Selbstentfaltung nach eigenen Bedürfnissen zu früh angesetzt wird. Man verlagert eine zwangsläufig mit dem Reifeprozess verbundene Mündigkeit in die Scheinmündigkeit der unreifen Welt eines Kindes und will dies mit dem Dogma der ‚kindlichen Intuition‘ begründen. Die noch weitgehend selbstbezogenen und substanzlosen Impulse des Kindes werden somit zum Maßstab der Erziehung und Bildung erhoben. Diese ungehobelten Impulse, die sich bis zur Volljährigkeit in Urteilen und charakterlichen Eigenheiten festigen, werden die Basis für eine labile Persönlichkeit bilden. Somit steht der komplexen Struktur staatlich-ökonomischer Manipulation und Massenlenkung noch weniger im Wege. Würde man das suchende Lerninteresse eines Kindes an der reflektierten und gebildeten (und nicht indoktrinierenden) Welt eines Erwachsenen sich empor ziehen lassen, könnten die Urteile und die Charaktereigenheiten nach und nach Substanz und menschengerechte Ausrichtung bekommen, die dem Kind auch die Basis zur kritischen Reflexion staatlich-ökonomischer Lenkung gibt.
Diese ’neue‘ (Stichwort: Rousseau und Antipädagogik der 70er) (anti)pädagogische Bewegung hat viele Namen und Vertreter, doch sie verbindet alle in der eben beschriebenen Ideologie der schleichenden und verschleierten (also unbewussten) Dehumanisierung, die bereits kleine Kinder als muntere und spaßige Konstrukteure ihres Lebens betrachten will, die die Kindheitsphase und überhaupt Entwickungsphasen nicht kennen will, die eine spielerische Intellektualisierung betreibt (zumindest im Falle von Leppe / Schetinin / LAIS), die die Kinder als kleine mit dem gleichen (oder einem noch besseren) Urteilsvermögen ausgestattete Erwachsene betrachtet (eine pädagogische und psychologische Absurdität!). Der Mensch wird somit zu einem Computer, der keine innere Entwicklung kennt, sondern zu jeder Zeit für die Verarbeitung der Welt bereit ist. Später wird er nur noch Upgrades seiner ‚Hardware‘ brauchen, um die Welt noch effizienter zu verarbeiten. Der Mensch ist dann nicht mehr im Werden, sondern im bloßen Sein und der Modifikation begriffen. Die Rolle, die Verantwortung und die Entwicklung des Erwachsenen wird geradezu bis zur Verspottung verunstaltet. Jetzt kann der Erwachsene endlich noch weniger Verantwortung über die Entwicklung seiner Kinder tragen.
Montessorischulen haben in diese Richtung eine starke Vorarbeit geleistet. Persönlichkeiten wie Ricardo Leppe (all4brain), die Familie Stern (Arno, Bertrand, Andre), die Schetinin-Schulen, LAIS-Schulen und die Bewegung der Freilerner führen diese Tendenzen zur globalen Verwirklichung (trotz ihrer Heterogenität), ohne ihre Ideale kritisch anschauen zu wollen. Gerald Hüther bringt gebetsmühlenartig die gleichen Floskeln, die der Waldorfpädagogik als EIN Erziehungselement von vielen lang bekannt sind. Doch hier spricht ‚die Gehirnforschung‘! Das Kind scheint in dieser Antipädagogik ein Produkt begeisterungsfähiger neuronaler Netzwerke zu sein.
Gleichzeitig besteht eine große Bewegung innerhalb der Regierung, die die Kinderrechte entsprechend rechtlich verankern will. Was auch hier vorerst toll klingt, bekommt in diesem Sinne einen fürchterlichen Beigeschmack – die Kinder sollen kleine Erwachsene werden, die ihre nicht vorhandene reflektive Urteilskraft für abstrakte Zusammenhänge bis zu politischen Entscheidungen nutzen sollen. Auch ist die massive Beschleunigung der menschlichen Entwicklung als ‚pädagogische Frühförderung‘ der Kinder seit Jahren bekannt. Dieser Impuls zur Kind-gesteuerten Bildung, ist also keine ‚alternative‘ Bewegung ‚von unten herauf‘, wie sie oft erlebt wird! Er bildet sich aus dem Gesamttrend der technokratisch gelenkten Zeit.
https://netzpolitik.org/2021/kinderrechte-das-recht-mit-und-ueber-digitale-umgebungen-zu-lernen/
https://www.sueddeutsche.de/politik/kinderrechte-grundgesetz-verhandlungen-spd-union-1.5315380
Das Traurige dabei ist, dass all die nach der ’neuen‘ Pädagogik strebenden Menschen nicht grundsätzlich in allem Unrecht haben. Sie schwimmen in einem chaotischen Meer aus schillernden Angeboten smarter und frischer Persönlichkeiten. Das kritische Denken ist selten gewollt. Das Denken an sich wird teilweise zum Ego gezählt und eine diffuse Intuition zur dogmatischen Urteilskraft erhoben. Ganz im Sinne des Tieres, wird dem Menschen ein Instinktleben zugeschrieben, welches allerdings nicht der menschlichen (!) Realität entspricht (an dieser Stelle sei die oft fanatische Bewegung der Tierschützer erwähnt, die das Tier über den Menschen stellen, nur weil so viele Menschen unmenschliche Strukturen geschaffen haben). Das wirtschaftlich gelenkte System der Staats(un)bildung hat eine Unmenge an traumatisierten Menschen in die Welt entlassen, die jetzt ganz affektiv nach dem rettenden Angebot greifen. Doch alles, was aus einer Traumatisierung kommt und nicht reflektiv verarbeitet wurde, bleibt ein Affekt und Affekte sind nicht für ein klares Denken bekannt. Um pädagogische Ideen und ihre Sinnhaftigkeit zu begreifen, braucht man aber ein klares und kritisches Denken! All diese traumatisierten Menschen sollten also das Kind nicht mit dem Bade ausschütten – die erwachsene Autorität, die Idee der Pädagogik, der Erziehung, die Schule an sich sind nicht per se schlecht. Man müsste den staatlichen Missbrauch der Bildung vorerst gedanklich von diesen Ideen trennen und die Ideen für sich betrachten.
Alles braucht seine Zeit für eine gesunde Entwicklung. Eine liebevolle erwachsene Autorität (was für die meisten unvorstellbar ist) muss keinen Zwang darstellen, sie kann einen Ausblick auf eine wunderbare Entwicklungshöhe andeuten und Sicherheit für das eigene Wachstum geben. Urteilsvermögen ist nicht per se da, sondern es bildet sich über entsprechende Zeit, entsprechende Erlebnisse und Entwicklungsschritte. Frische und unreflektierte Urteile der Jugendlichen müssen sich an der möglichst reflektierten Reife der Erwachsenen reiben, um zur eigenständigen Alltagswirklichkeit und Lebenspraxis zu gelangen. Nur weil die Erwachsenen weitgehend unfähig, ungebildet und unreflektiert sind, heißt es nicht, dass Kinder nicht die entsprechend fähigen, gebildeten und reflektierten Erwachsenen brauchen. Wenn Kinder keine Erwachsenen erleben, die DEUTLICH weiter sind als die Kinder selbst, werden sie später keine Menschen und somit auch keine eigene humane Entwicklung brauchen! Das ist die Konsequenz dieser Talfahrt! Denn erst reifere Menschen lassen einen die eigene Entwicklungsmöglichkeit zum Höheren erleben! Die Kinder werden auf eine technologische Zukunft vorbereitet, die sich über Transhumanismus im Posthumanismus entladen wird.
Wir brauchen also keine sich eigenständig erziehenden und bildenden Kinder, keine Kinderrechte, keine Hirnforschung, die lediglich von der durchaus nötigen Begeisterung predigt. Wir brauchen ERWACHSENE, die sich bilden, für die Selbstreflexion kein Fremdwort ist! ERWACHSENE, die Verantwortung finden und sie tragen! Erst dann werden wir gesunde Kinder haben, die in ihrem Wachstumsprozess auch zu freien Urteilen und eigener Verantwortung finden. Eben zur rechten Zeit.
„Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten!“ – eine passende Mahnung! Nur, weil die den Kindern in den Schulen beigebrachten Lerninhalte untauglich sind, diese zu kritischen, begeisterungsfähigen Menschen zu formen, verzichtet die Freilernerbewegung sicherheitshalber völlig auf irgendeine Beeinflussung des Kindes, auch im positiven Sinne. Sie tut das sicher in bester Absicht, aber in völliger Leugnung der Erfahrungen von Jahrhunderten menschlicher Erziehung. Wenn es so wäre, wie die Freilerner meinen, dass nämlich das Kind am besten weiß, was gut für es ist, wäre die Institution Schule schon vor Jahrhunderten abgeschafft worden, vielmehr, sie hätte sich selbst überlebt. Freilernen scheint mir eine extreme Reaktion auf ein tatsächlich vorhandenes Problem der falschen Wissensvermittlung zu sein, und wie jeder Extremismus ist auch dieser abzulehnen, weil er große Teile der Wirklichkeit zugunsten eines in sich stimmigen Weltbildes ausblendet. Das macht seine Herangehensweise an das Problem unseriös.
Die Übergabe der Lernverantwortung an das Kind entledigt die Eltern und die ‚Schule‘ ganz bequem von diesem Problemkomplex, und so ist diese Lernform auch nicht anders zu begreifen, als verantwortungslos im Sinne der Erwachsenen. Zwar sehe ich es nicht ganz so, dass dann jede Lernmotivation des Kindes unbedingt nur noch auf intrinsische Faktoren angewiesen wäre, denn schließlich sind da auch die anderen, älteren Kinder, von denen das Kind motiviert werden kann, mehr als das Allernotwendigste aus sich herauszuholen. Aber diese Motivation ist sehr persönlichkeitsabhängig und aufgrund der Neigung des Menschen, sich das Leben so angenehm und leicht zu machen, wie möglich, sehr unzuverlässig. In Ausnahmefällen kann diese Wette auf die richtigen Lernanlagen auch mal aufgehen, aber die breite Masse der Kinder wird dabei wohl das Nachsehen haben.
Kennen Sie dazu irgendwelche unabhängigen Langzeitstudien, die meine Bedenken zerstreuen könnten? Oder die sie stützen könnten? Ich bin da ganz unvoreingenommen und freue mich über jede Evidenz.
Danke für ihren erhellenden Aufsatz!
Vielen Dank für Ihre Gedanken! Verzeihen Sie die späte Antwort. Es stimmt etwas mit der Mitteilungsfunktion bei einem neuen Kommentar.
Das Spannende ist, dass die Ansicht der Freilerner (im weiten Sinne des Begriffs) keine Beeinflussung des Kindes (auch nicht im positiven Sinne) vorzunehmen vollkommen naiv und realitätsfern ist. Denn die ganzen Überzeugungen der Freilerner bilden in und für sich ein System von Ideen, Zielen und Inhalten (wie alle pädagogische oder antipädagogische Konzepte), welches auf die Kinder direkt oder indirekt angewendet wird. Wenn ich also meine, das Kind müsse sich frei entfalten und über all seine Entwicklungsangelegenheiten selbst entscheiden dürfen, wenn ich meine, dass das Kind die entsprechende Urteilsfähigkeit besitzt und so weiter, dann wende ich bereits mein (anti)pädagogisches Konzept auf das Kind an und gehe von einem ganz bestimmten Menschenbild aus.
Es ist also illusorisch oder naiv davon zu reden, dass diese Bewegung keine Beeinflussung des Kindes vornimmt, denn sie beeinflusst das Kind sehr wohl, indem sie das Kind im Sinne IHRES Verständnisses der Entwicklung, der Bildung, der Psychologie indirekt (durch den gegebenen Rahmen, durch die Zurückhaltiung etc.) mitformt.
Sie erwähnen aus meiner Sicht Extremismus völlig zurecht. Denn der Extremismus zeichnet sich meist durch das Fehlen der Selbstreflexion, des kritischen Innenblickes aus. Er entsteht aus der Not als ein Affekt oder ein gesellschaftliches Dispositiv in Bezug auf einen erlebten Notstand. Die gezielte systematische Bildungsreduktion seit dem Kaiserreich hat ein Unbildungssystem geschaffen, welches lediglich der gesellschaftlichen Reproduktion bestimmter Machtverhältnisse dient… dieses System ist mittlerweile so selbstverständlich, dass wir es als solches gar nicht erkennen (wollen). Von daher ist es durchaus verständlich, dass man auf dieses „Bildungssystem“ allergisch reagiert. Eine seriöse Herangehensweise würde allerdings das Kind mit dem Bade eben nicht ausschütten und nicht den Affekten nachlaufen.
Das Problem der Entledigung der Eigenverantwortung der Erwachsenen ist aus meiner Sicht geradezu scheußlich! Der Erwachsene, der eigentlich als DAS lebendige Beispiel eines sich entwickelnden Menschen fungiert (fungieren sollte), will sich im Grunde als solches abschaffen und dadurch die Entwicklung des Menschen negieren. Ganz im Sinne vom radikalen Konstruktivismus, der ganz subtil immer mehr und mehr zur Dehumanisierung beiträgt. Das Kind ist demnach ein ‚fertiger Mensch‘, der lediglich automatenartig und zweckgerichtet sich zwischen Viabilität (dem gangbaren Lebensweg) und Perturbation (Störung durch die Außenwelt) bewegt. Die Erwachsenen begreifen die Tragweite dieser verantwortungslosen Bequemlichkeit gar nicht.
Die von Ihnen erwähnte „Neigung des Menschen, sich das Leben so angenehm und leicht zu machen“ wird sehr gerne vergessen. Wie die ‚Errungenschaft‘ des Internets gerne von Technokraten als per se bildungsfördernd dargestellt wird, so wird auch gerne in solchen Kontexten der Mensch implizit als per se entwicklungswilllig definiert. Erfahrungsgemäß ist es allerdings recht irreführend, da die Bequemlichkeit dem Menschen deutlich näher ist als irgendwie gearteter Wille zur ernsthafter Persönlichkeitsentwicklung. Der Mensch muss also über seine Bequemlichkeit, seine Gewohnheiten etc. hinauswachsen, wenn er sich entwickeln will. Die darin oft zwangsläufig enthaltenen psychischen Schmerzprozesse müssen in Kauf genommen werden.
Meinen Sie Studien gerade in Bezug auf den letzten Punkt? Auf Anhieb fällt mir da nichts ein, aber ich werde bei Gelegenheit danach suchen. Es müsste da bereits etwas vorhanden sein.