Wahleinmischung! Rettet die Demokratie!

Der westlich selbstgerechte Schrei nach Wahleinmischung bei sich und Wahlmanipulation bei den anderen ist allgegenwärtig. Zuerst war es nur Putin, der sich überall auf der Welt eingemischt hat. Er hat die Wahlen in den USA, in Deutschland und in so ziemlich jedem europäischen, südamerikanischen, geschweige denn postsowjetischen Staat zu seinen Gusten manipuliert (dazu braucht es nicht einmal Quellen, jeder weiß es). Dann kam Trump dazu, der die Wahlen in den USA mit Hilfe von Medien, KI-Algorithmen und Co. zu seinen Gunsten entschieden hat. Jetzt kommt Elon Musk, der sich (wie Putin) in die deutschen Wahlen einmischt. Unerhört!!! Es muss schleunigst die Demokratie mit aller Gewalt gegen solche bösartigen Manipulationen verteidigt werden!

Es ist wirklich mühsam einen Artikel über dieses Thema zu schreiben, da die darin liegende Problematik derart auf der Hand liegt, dass das Schreiben darüber eigentlich überflüssig ist. Eigentlich. Gerade unsere Zeit zeigt, dass die auf der Hand liegenden Zusammenhänge irgendwie für die Masse am unklarsten erscheinen. Doch ich halte das für eine Illusion. Es ist nicht die Unklarheit, eine irgendwie geartete Verwirrung, welche das vermeintich Offensichtliche verdecken. Es ist etwas ganz anderes. Doch reden wir vorerst über das, was einige kritische Menschen für das Offensichtiche halten.

Das Offensichtliche

Die überhebliche Selbstgerechtigkeit und die Doppelmoral oder auch die doppelten Standards gehören stets zusammen. Wer ein bestimmtes Thema in seiner Essenz halbwegs begriffen hat, kann dieses Thema quasi auf das Leben anwenden. Man nennt so etwas Lerntransfer. Das Gelernte wird als ein Prinzip abstrahiert und auf andere Bereiche angewendet. Doch es funktioniert nur bedingt, wenn Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral vorherrschen. Ich bin zwar kein Psychiater, aber es liegt nahe, diese Problematik der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zuzuordnen. Ein Narzist (und natürlich auch eine Narzistin) wird eher der Bigotterie unterliegen. Er wird also hohe moralische Ansprüche an andere Stellen, deren er selbst aber nicht gerecht wird. Er wird höchstens hochtrabend seine moralisch-ethische Korrektheit betonen, während die Realität völlig ausgeblendet wird.

Wenn Steinmeier (und andere) sich „entschieden gegen alle äußeren Einflussversuche“ wendet, Wahleinmischung in Rumänien und die Plattform X kritisiert, während er darin „eine Gefahr für die Demokratie“ sieht, dann ist es ein Bilderbuchbeispiel für Dutzende, vielleicht auch Hunderte solcher Fälle der ‚Demokratieverteidigung‘. Das Offensichtliche darin ist allerdings, dass es dabei eben um einen narzistisch angehauchten Fall von Bigotterie, Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral geht. Wenn man dazu eine Erklärung braucht, hat man jede Menge verpasst und sollte es jetzt schleunigst aufholen. Denn die Wahlbeeinflussung durch Deutschland, die EU, die USA und Co. ist in der ganzen Welt vermutlich beispiellos und vor allem selbstverständlich. Ich will dafür nicht einmal die US-gestützten Diktatoren und Terroristen erwähnen. Und weil solch eine Wahlbeeinflussung und sonstige Beeinflussung selbstverständlich ist, fällt sie eben auch als solche nicht auf. Hier nur ein paar wenige Beispiele:

Wenn dann auch noch die „Meinungschefin“ der Welt wegen des Artikels von Musk kündigt, dann ist es wirklich Realsatire. Nur die richtige Meinung, ist eine gute und demokratisch vertretbare Meinung. Auch wenn die falsche Meinung sich innerhalb geltender Gesetze bewegt, ist sie zu bekämpfen. Das ist wohl gelebte Demokratie im narzisstischen Selbstverständnis. Wenn ein Habeck die Meinungsbildung staatlich steuern will, ist es keine Zensur, kein autoritärer Staat, keine Indoktrination, keine interne Wahleinmischung. Es ist gelebte Demokratie im westlichen Verständnis!

Aber neu ist es nicht. Rote Karte gegen Hass gibts nur, wenn man nicht die ‚richtigen‘ hasst und öffentlich diffamiert. Beim Hass gegen die ‚Richtigen‘, also beim quasi moralisch gerechtfertigten Hass, bekommt man sogar unterstützung und steht auf der richtigen Seite. Es fällt nicht mehr richtig auf, dass es gerade der konstituierende Faktor der Demokratie schlechthin ist, wenn ganz verschiedene (ob linke, rechte oder sonstige) Meinungen vertreten und geäußert werden, solange sie sich innerhalb geltenden Rechts befinden. Wenn man allerdings das Letztere mit einem immer enger werdenden Rechtssystem aus schwammigen Begriffen delegitimiert und als „drohende Gefahr“ einstuft, wird es für Meinungen natürlich schwierig. Inwiefern es noch mit einer Demokratie zu tun hat, da muss jeder selbst darüber nachdenken.

Das Eigentliche – der US-europäische Exzeptionalismus

Ich halte es aber für zu kurz gegriffen, wenn man diesem selbstgerechten Schreien westlicher bigotter Moralprediger über Wahleinmischung und Meinungsbidung lediglich Doppelmoral und Scheinheiligkeit attestiert. Taucht man in dieses westliche Gefühl ein, ohne es antipathisch von sich zu stoßen, will man es also wirklich begreifen, dann geht einem plötzlich eine Welt auf, die ganz und gar nicht Scheinheilig ist. Diese Welt ist geradezu heilig, einzigartig, moralisch überlegen und eben exzeptionell. Warum so komliziert? Weil es dafür einen Begriff und eine dazugehörige Ideologie gibt – der amerikanische Exzeptionalismus oder auch der amerikanische Ausnahmestatus. Wer jetzt denkt: „ach, das ist halt eine überholte Philosophie alter Fahnenschwenker!“, der irrt sich gewaltig. Denn erst mit diesem Hintergrund versteht man das amerikanische Handeln in der ganzen Welt. Es wird keinen einzigen US-Präsidenten geben, der nicht diesen Ausnahmestatus betont und vertreten hat. Die Recherche überlasse ich an dieser Stelle Ihnen und bleibe bei der bloßen Annahme. Denn das ist keine verstaubte Philosophie irgendwelcher Doktoren, es ist die absolute Lebenspraxis US-amerikanischer Staaten. Es ist der Inbegriff des „american dream“.

Ja, gut, das sind halt die Amis mit ihrer Polemik und ihren imperialistischen Ansprüchen, aber was soll das mit dem aufrichtigen Europa, mit Deutschland zu tun haben? Gerade Deutschland hat doch bitter gelernt, dass eine Selbstüberhöhung arischen Ausmaßes zu einer die Welt übergreifenden Tragödie führt. So etwas, sei es auch nicht auf biologisch hergedichteter, sondern auf sozial-staatlicher Basis, ist in Europa und vor allem in Deutschland vollkommen unnmöglich!

Nun, dieser ‚american dream‘, die „fantastische Vision von politischer Freiheit, materiellem Erfolg und Selbstverwirklichung“ wurde bereits in Europa geträumt, bevor sie mit großer Hoffnung in Amerika als „Realisation der Projektion eines irdischen Paradieses auf Erden“ sich in den Köpfen der Menschen festsetzte (Naumann, 2016, Billy Wilder – Hinter der Maske der Komödie, S. 35 f.). Das, was man also unter dem „american dream“ kennt, ist eigentlich ein „trans-atlantik dream“, ein euroamerikanischer Traum. Rechnet man damit, dann versteht man erst das gesamte westliche Gebaren in seiner eigentlichen Intention und Tragweite.

Es ist also ganz richtig, dass ein Steinmeier oder andere Moralprediger ganz selbstverständlich die Wahleinmischung westeuropäischer Imperialstaaten nicht als ein Problem, sondern als eine Selbstverständlichkeit, eine Pflicht ansehen. Wenn also Putin (vollkommen ohne Beweise, denn diese braucht man gar nicht) sich in Wahlen einmischt, ist es eine „Gefahr für Demokratie“, wenn der exzeptionalistische Westen sich überall nicht nur einmischt, sondern ganze Staaten, ob mit oder ohne UN-Mandat, in Schutt und Asche legt, ist es „der Einsatz für Demokratie“.

Spannend ist es aber durchaus, warum plötzlich Akteure aus dem exzeptionalistischen Westen selbst als vermeintliche Gegenspieler des gleichen exzeptionalistischen Westen auftreten. Warum wollen ein aus dem establishment kommener Polemiker und ein erklärter Technokrat plötzlich die Welt retten? Diese Tatsache lasse ich hier einfach so unbehandelt stehen. Die Zeit wird es vermutlich zeigen.

Wer also meint, sein System ist das bessere, ethischere, höhere, ist natürlich (zumindest subjektiv, selbstzentriert) immer im Recht. Ich hoffe, es ist ohne eine weitere Andeutung verständlich, warum eine derartige Sicht nennen wir es problematisch ist. Doch was ist, wenn dieses bessere, ethischere und höhere System nicht nur subjektiv so ist, sondern auch objektiv? Dann muss ich hoffentlich ebenfalls nicht verdeutlichen, dass eine Beglückung mit Gewalt dem Ganzen einen herben Beigeschmack verleiht.

Vergleich mit der NS-Zeit?

Vor Kurzem habe ich mir „Mein Kampf“ angetan. Das müsste eigentlich jeder tun, der die Gewohnheit entwickelt hat, jeden als einen Nazi zu beschimpfen, der auch nur irgendwie die medial hergestellten Fakten nicht als solche ansieht. Dann versteht man vielleicht, was eigentlich ein Nazi ist. Nein, ich habe die über 800 Seiten nicht alle gelesen. Auch im wissenschaftlichen Interesse überkommt einen nach einer Weile ewiger Wiederholungen strotzender Kruppstahlstärke und minderwertiger Natur-Philosophie ein immer lauter werdender Brechreiz. Ich habe mich in einige Themen vertieft und andere nur überflogen. Es ist durchaus ein sehr spannendes Zeugnis des geschichtlich realisierten Wahnsinns, der es geschafft hat den deutschen Idealismus und sogar christliche Transzendenz derart zu pervertieren.

In Deutschland vertritt man gerne die Ansicht – „man habe es nicht gewusst“. Diese Ansicht gilt den Nachbarn von KZ-Lagern, ’normalen‘ Bürgern und manche erweitern sogar diese Ansicht auf Hitler selbsts. Er habe quasi nicht gewusst, dass seine Ideen so unmenschlich umgesetzt werden. Dazu rate ich aber die Lektüre des Herrn selbsts. Wer darin Menschlichkeit findet, hat eine recht seltsame Auffassung von ihr, die mehr mit Anton Szandor LaVeys ‚Bibel‘ oder dem „Der Antichrist“ von Nietzsche zu tun hat als mit irgendeiner Humanität. Man betont in Deutschland gerne die „weiße Rose“, denn „es waren nicht alle so“. Ja, es waren sicher nicht alle so. Aber „Mein Kampf“ besaß meinem Verständnis nach so ziemlich jeder im Haushalt. Die Ideen hinter dem Nationalsozialismus durften also jedem, der lesen und es auch halbwegs verstehen konnte, bekannt sein. Darin lediglich die Begeisterung der endlich respektierten Arbeiter und eines blühenden Deutschlands zu sehen ist irgendwie verzerrend, vereinfachend. Warum also eine derartige Gefolgschaft? Warum die mit Begeisterung erhobene Rechte? Warum solch ein Erfolg?

Vieleicht war die Erklärung zu einer per se definierten arischen Rasse zu gehören doch derart beflügelnd, dass man das Wegfegen des Verweichlichten, Niederen und Falschen nicht nur billigend in Kauf genommen hat, sondern es begeistert durchführte?

Jegliche Vergleiche mit der NS-Zeit sind bekanntlich strafbar. Man nennt es „Relativierung der NS-Zeit“ oder ähnlich. Nichts kann dem ähnlich sein. Nichts darf damit verglichen werden. Es sei denn, man vergleicht damit die ‚Feinde der Demokratie‘ und andere System-Dissidenten, dann dürfen jegliche Relativierungen und Vergleiche stattfinden. Es muss also den Richtigen treffen. Im soziologischen Interesse sind solche Vergleiche geschichtlicher Tatsachen allerdings sehr gängig (ich weiß nur nicht, inwiefern die NS-Zeit bereits derartig aufgearbeitet wurde). Man vergleicht dabei natürlich nicht 1 zu 1 das Geschehen und schon gar nicht die gesamte NS-Zeit mit irgendeiner anderen Gesamtheit, das wäre absurd. Es ist aber durchaus legitim einzelne Prinzipien zu abstrahieren und diese in früheren oder späteren Zeiten zu suchen. Dafür also, nach einer gewissenhaften Operationalisierung (Definition dieser Faktoren und zählbarer Entsprechungen in der zu untersuchenden Zeit), wissenschaftlich signifikante Indikatoren zu finden.

Da ich lediglich die Thematik anreißen will, ist es nicht mein Bestreben, mich damit zu beschäftigen. Doch interessant und soziologisch bereichernd wäre es sehr wohl, wenn jemand eine Bachelor- oder Masterarbeit darüber schreiben würde, inwiefern der US-europäische Exzeptionalismus mit der arischen Rassentheorie von Hitler vergleichbar sein könnte. Man müsste dafür sicher den Sprung vom Hitlers Biologismus zur reinen Kulturüberlegenheit schaffen. Denn ein überzeugter US-europäischer Exzeptionalist, der sich und seine Kultur für etwas Absolutes und Überlegenes hält, ist bekanntlich nicht an biologische Merkmale anzuknüpfen. Doch das, was all diese Überlegenen in Selbstverständlichkeit des ‚Guten, Wahren und Schönen‘ verbindet, ist eine Idee, eine Ideologie.

Gerade in den Zeiten weltrettender Corona-Politik, erlebte ich einige Kollegen in der sozialen Sphäre erst recht aufblühen. Sie bekamen geradezu eine neue Identität innerhalb ihrer sozialen Tätigkeit. Akribisch den Unterricht auf die Ermahnungen und politische Statements zu trimmen, den möglichen Tod der Großeltern durch die eigene Uneinsichtigkeit in der Grundschule zu betonen, Abstände, Laufrichtungen, den korrekten Maskensitz, Plexiglaswände, die Gesangsrichtung bei Chor, die Wissenschaft, die Fakten zu betonen, all das gab ihnen erst einen neuen Sinn ihrer eintönig und öde gewordener Arbeit. Jeden Tag zählten sie sich zu den Richtigen, Guten, Solidarischen, Korrekten und Sozialen, ja moralisch Überlegenen. So zumindest mein Eindruck. Was ist dann erst, wenn es sich nicht nur auf eine Zeitspanne einer autoritären Pandemie-Politik begrenzt? Was ist, wenn das Gefühl us-europäischer Überlegenheit genau das ist, was die Köpfe und Herzen westlicher Moralprediger bewegt? Was würde es dann bedeuten? Was wäre die Tragweite?

Ja und? Ist jetzt Putin besser?

Wir brauchen an dieser Stelle nicht darüber zu debattieren, ob Trump, Musk, Putin oder sonst wer gut sind, wir brauchen nicht darüber zu debattieren, ob ein kollektivistisch kommunistisches System besser ist. Derartiger Whataboutismus wird im Westen wie im Osten sehr gerne und sehr systematisch betrieben. Ist man willig das eigene System, in welchem man lebt und welches man für überlegen hält, kritisch zu betrachten, braucht man dafür kein „aber, was ist mit …?!“. Ist man nicht gewillt es zu tun, sollte man es sich und den anderen wenigstens eingestehen. Dann kann man sich weiter ruhig überall einmischen oder zumindest zu denen dazugehörig fühlen, die es tun und bei sich bzw. bei den für sich beanspruchten Gebieten „Wahleinmischung“ zu schreien.

Meinerseits kann ich nur knapp äußern, dass mein Opa vier Jahre lang in deutschen Arbeitslagern und KZs saß, um danach ein ähnliches Schicksal bei den Sowjets zu erleiden. Ich weiß bestens, dass Russland (aber sicher auch China) nichts mit Demokratie je zu tun hatten und haben. Doch ich weiß genauso, dass der Westen ebenfalls noch nie eine wirkliche Demokratie hatte. Der Westen hat nur gelernt die zusammenhänge unglaublich gut zu kleiden und zu verschleiern. Ob Sie bei diesen Aussagen meine eigenen Beiträge lesen wollen und / oder sich wissenschaftliche Literatur beschaffen, bleibt Ihnen überlassen. Fakt ist, dass es dazu wirklich sehr viel wissenschaftlicher Literatur gibt. Diesbezüglich kann ich Ihnen auch gerne den Kritischen Bildungskreis empfehlen, der im Rahmen meines Studiums der Bildungswissenschaften entstanden ist. Das dazugehörige Büchlein wird bald erscheinen.

In diesem Sinne, auf gegen die Wahleinmischung!

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