„Bayerisches Kultusministerium will ein Fach ‚kritisch denken lernen‘ als Gegengewicht zur Querdenkerbewegung entwickeln und braucht Entwürfe von Lehrern“. Bei diesem Aprilscherz meines damaligen Rektors an einer Förderschule zu Zeiten des Corona-Regimes, war ich mir zuerst nicht ganz sicher, ob es sich dabei wirklich um einen Scherz handelt. Noch vor dem Coronawahn war Vieles nicht vorstellbar. Doch innerhalb kürzester Zeit war es gelebte Realität fanatischer Regierungsverstärker, Hilfspolizisten, paramedizinischer Abstandsmesser, Maskenprüfer und Impfpropagandisten. Alles vollkommen vorbei an jeglicher Besonnenheit, Sachlichkeit, geschweige denn kritischer Betrachtung entsprechender Daten und wissenschaftlich differenzierter Untersuchungen. Nach der anfänglichen Aufregung gegen solch eine unreflektierte, sich selbst bejahende und einseitige Vorstellung der ‚Kritik gegen die Kritiker‘ (unabhängig davon, dass ich selbst mit der Querdenker-Bewegung nichts anfangen konnte), ergab sich die Idee und auch die entsprechende Gelegenheit im Rahmen meines Studiums der Bidungswissenschaften dieses Projekt zu realisieren. Ein quasi-Fach „kritisch denken lernen“ soll eine realistische Form bekommen. Dann aber selbstverständlich als ernst gemeintes Angebot an das pädagogische Kollegium und jeden, der sich für eine wissenschaftliche Gesellschaftskritik interessiert. Auch und vor allem außerhalb beruflicher Kontexte, da ich der Ansicht bin, man solle das Denken nicht Experten überlassen. Schon gar nicht in dieser brisanten Zeit, in der wir heute stecken. Und schon gar nicht gegenüber dem kritischen Denken. Wer einen Experten für kritisches Denken braucht, hat einen recht zentralen Teil seines Menschseins bzw. Menschwerdens an den Nagel gehängt. Manchmal ist es legitim, weil das Leben von einem andere Prioritäten verlangt. Aber es ist fragwürdig, wenn man es dauerhaft den Philosophen, Soziologen und anderen Fachkreisen überlässt.
Handreichung gegen die selbstverschuldete Unmündigkeit
Der Titel ist recht reißerisch gewählt. Gewiss kann es einem aufstoßen. Muss ich ernsthaft kritisch denken lernen oder kann ich das schon? Unmündigkeit? Und dann auch noch selbstverschuldet? Doch ich bin der Ansicht, wir sind als Gesellschaft nicht in dieser Lage lediglich weil ‚die da oben‘ uns dorthin gebracht haben und uns dort halten. Es war spätestens seit den 50ern eine längere Fahrt der Bequemlichkeit, des Spaßes, des Konsums, Hedonismus und partiellen Utilitarismus. Ich würde behaupten, dass die Mehrheit der Gesellschaft eine materialistische Einstellung vertritt und diese lediglich hier und dort mit Elementen mehr oder weniger diffuser esoterischer und religiöser Vorstellungen ergänzt. Wohin uns der Materialismus geführt hat, den wir mittlerweile wie Luft atmen und gar nicht mehr als solchen erkennen, beschreibe ich an mehreren Stellen: in „Geist oder nicht Geist“ oder auch in dem Beitrag „Wohin führt uns der Materialismus? Aufruf zum geistigen Humanismus!“. Aus meiner Sicht haben wir diese Entwicklung uns selbst als Gesellschaft zu verdanken. Natürlich besteht eine Gesellschaft eigentlich aus Individualitäten. Doch wir haben alle mehr oder weniger den Anteil an dieser Ausgangslage, in die wir an sich hineingeboren wurden. Die Frage ist nur, was wir daraus machen und wann wir gewisse Schlüsselstellen erreichen, die uns vorerst die bittere Lage sichtbar machen und vor Fragen stellen: Wie sind wir hierher gekommen? Und was kann ich selbst als Mensch in dieser Gesellschaftslage noch sinnvolles tun?
Und meine bisherige Antwort darauf ist:
Wir sind hier durch die materialistische Ideologie geladet, die zwangsläufig zuerst in der Verwaltung der ‚Biomasse-Mensch‘ und dann im Posthumanismus enden muss und was jeder von uns tun kann, ist kritisch denken lernen, um letztendlich überhaupt erst denken im eigentlichen Sinne zu lernen. Und zwar nicht kritisch im Sinne einer Kritiksucht, im Sinne von Psychohygiene oder auch im rein analytisch wissenschaftlichen Sinne. Ich meine, jeder von uns müsste (wenn es einem um sein Menschsein geht) an eine Stelle kommen, an dem ihm das Denken mehr wird als bloßes abstraktes und unpraktisches Nichts. Auch mehr als ein spannender Zeitvertreib innerhalb philosophischer Gedankenformen. Die denkerische Betrachtung, die Reflexion kann als etwas sehr praktisches und real schöpferisches Erlebt werden, so dass die Erkenntnistheorie zur Lebenspraxis wird.
Doch nicht für jeden ist der Einstieg in die Thematik des Denkens selbst das richtige Mittel, um zu seinem Menschsein vorzustoßen. Gerade in unserer Zeit hört sich so etwas als eine unnötige Anstrengung ohne greifbare Resutate an. Deswegen halte ich den Einstieg in dieses uns einerseits so fremdes und andererseits uns geradezu definierendes Feld des Denkens dort für sinnvoll, wo es gesellschaftlich brennt. Wo Themen und Fragen entstehen, die uns gesellschaftlich definieren, prägen, beherrschen und schlicht bewegen. Und was soll mehr brennen als der Kampf um die Deutung gesellschaftlicher Werte, moralischer Vorstellungen, der Vernunft, des Sozialen, um die Deutung der Gesellschaft und ihrer Individualitäten selbst?
Dekonstruktion westlicher Werte vs. Brandmauern
Das von mir gemeinte „kritisch denken lernen“ soll also dort ansetzen, wo es gesellschaftlich brennt. Wenn diejenigen, die sich für gut halten, Brandmauern gegen das drohende Böse errichten wollen, bin ich dafür, das Feuer auf beiden Seiten kritisch zu betrachten. Denn brennen tuts auf beiden Seiten. Es sei denn man ist ein Ideologe im weißen oder zumindest ‚weißeren‘ Kleid. Was ist also, wenn sich das Böse auch oder sogar vor allem in dem Bereich befindet, der durch die Brandmauer geschützt werden soll? Technisch gesehen ist die Brandmauer eine Firewall, die den Zugang zu einem ’sicheren‘, ‚guten‘, Innenbereich regelt und ihn von einem per se ‚bösen‘ Äußeren schützen soll. Mit einer Demokratie hat es selbstverständlich nichts zu tun. Eine Firewall ist nichts Anderes als eine Diktatur des ‚Guten‘. Durch festes Regelwerk wird bestimmt, was rein oder raus darf, was ‚gut‘ oder ’schlecht‘ ist. Dieser Prozess hat nichts mehr mit einer Debattenkultur zu tun, sondern lediglich mit Funktionen und im Hintergrund laufenden Szenarien. Im techischen Bereich hat auch Demokratie nichts verloren.
Wenn Impfungen oder auch neuartige Experimente als gut und solidarisch definiert und nicht stets aufs Neue diskutiert werden, wenn LGBT als menschlich per se postuliert wird, Gendern als der einzig korrekte Ausdruck fluider Geschlechtlichkeit gilt, der Staat, etablierte Medien und wissenschaftliche Institutionen und Experten als per se vertrauenswürdig gelten und eine Flüchtlingspolitik per se als menschlich erklärt wird, die alle wahllos willkommen heißt, mit Geld versorgt und keine kulturellen Probleme und entsprechende Gewalttaten erkennen will (nur um ein paar Beisspiele herauszugreifen), dann werden Szenarien und Funktionen bestimmt, um eine Firewall zu aktivieren, welche dafür sorge trägt, dass alle störenden, nicht den Regeln entsprechenden Elemente draußen gehalten werden. Da eine Gesellschaft, die eine derartige Firewall noch nicht voll integriert hat, noch als eine relativ heterogene Masse da steht, müssen die störenden Elemente vorerst hinter die Firewall gebracht werden. Es muss also ein Innen und Außen kreiert werden. Das ist natürlich auch kein demokratischer Prozess, das ist gelebte Exklusion, die ihrerseits eine Ideologie statt Debattenkultur verfolgt.
Bei diesen Gedanken kann man natürlich immer weiter ins Detail gehen und Analogien herstellen. Doch dieses Sinnbild der Firewall soll lediglich verdeutlichen, dass die Werte, die man für selbstverständlich hält, vielleicht gar keine Werte sind. Vielleicht sind diese Werte umgekehrt, vielleicht verschleiern sie etwas, vielleicht stellen sie Illusionen, bunte Pappwände dar. Wer es mit seinen Wertvorstellungen wirklich ernst meint, wird sie zumindest von Zeit zu Zeit neu betrachten, definieren und kritisch hinterfragen. Doch in einer Zeit, in der medial und politisch instruierten Massen für die Wissenschaft marschieren (!) (Stichwort: March for science), ist gerade die wissenschaftliche Betrachtung der per se als existierend und für gut und richtig erklärten Werte kaum erlaubt ohne sein Ruf und seine Karriere zu zerschellen, sein Bankkonto gesperrt zu bekommen und fortwährend mit Gülle übergossen zu werden.
Es wird also bereits aus wissenschaftlicher Sicht höchste Zeit die heiligen Kühe des ‚Westens‘ genauer unter die Lupe zu nehmen und zwar nicht nur in Form soziologischer Betrachtungen der letzten 75 Jahre, sondern in Form bürgerlicher, allgemeinmenschlicher Selbstermächtigung. Begriffe wie ‚freie Medien‘, ‚Medienkompetenz‘, ‚Demokratie‘, ‚Fakten‘, ‚Experten‘, ‚Wissenschaft‘ und so weiter, Begriffe die also unsere westliche Gesellschaft so selbstverständlich definieren, sie leuchtend, sauber und selbstgerecht machen, brauchen eine kritische Betrachtung, eine Dekonstruktion, um zu schauen, was von ihnen am Ende der Betrachtung übrig bleibt.
DAS ist ein ganz normaler wissenschaftlicher Prozess. Wenn wir uns also ‚die Wissenschaft‘ gerne auf die Fahnen schreiben, dann nehmen wir sie auch hier ernst. Und ich meine nicht, dass es ausreicht, dies alles schon zu wissen, weil Vieles davon so offensichtlich ist. Wir brauchen eine wissenschaftliche Basis für solch eine Kritik und diese existiert seit über 70 Jahren und wartet nur auf eine intensive Integration in die Gesellschaft! Kritisch denken lernen goes Wissenschaft! Wenn nicht von oben, top down, dann von unten, bottom up.
Ausblick
Das an diesem gesellschaftlichen Brandherd geschärfte und gehärtete Denken (auch wenn es wie ein gutes Schwert flexibel genug bleiben sollte) kann dann als Reflexion nach innen verlagert werden, um die kritische Auseinandersetzung dort fortzuführen, wo es um die eigentlich entscheidende Frage geht: was ist der Mensch, den wir im Begriff sind ganz zu verlieren?
In diesem Sinne biete ich diese recht unklassische Handreichung „kritisch denken lernen“ (wissenschaftlich) als den Einstieg zur menschlichen Selbstermächtigung an.
Das Projekt „Kritischer Bildungskreis„, welches im Rahmen des Studiums entstand, enthält noch etwas mehr Hintergründe zu dieser Handreichung.